Stefan John von BASF setzt auf KI und Compassionate Leadership

Hannah Baxter

Als Senior Vice President und General Counsel bei BASF, dem großen internationalen Chemieunternehmen mit Sitz in Ludwigshafen, ist Stefan John ein viel beschäftigter Mann. John verspricht sich viel von Künstlicher Intelligenz. Um die Qualität der geschäftlichen und rechtlichen Prozesse bei BASF zu verbessern, ermutigt er sein Team, KI-gestützte Lösungen funktionsübergreifend einzusetzen. Gleichzeitig setzt er auf Compassionate Leadership; die emotionale Unterstützung seines Teams ist ihm ein wichtiges Anliegen.

Das Rechtswesen steht im Ruf, neue Technologien eher zögerlich einzuführen. Sie selbst gelten allerdings als Verfechter der KI. Welche strukturellen Hürden lassen Juristen kritisch auf die Einführung neuer Technologien blicken? Was macht für Sie die KI so interessant?

Die KI ist zur Erbringung neuer Dienstleistungen im Rechtswesen unverzichtbar. Die eigentliche anwaltliche Tätigkeit mag sich im Laufe der Zeit nicht stark verändert haben. Anders verhält es sich mit der Erbringung von Rechtsdienstleistungen. Hier sehen wir einen ständigen Wandel. Viele andere Dienstleistungsbranchen haben ihre Modelle zur Dienstleistungserbringung in jüngster Zeit umgestellt, beispielsweise Rechnungswesen, Consulting oder auch das Gesundheitswesen. Das Rechtswesen befindet sich heute aktuell mitten in diesem Prozess.

Dass dieser Prozess langsamer voranschreitet, hat viele Gründe. Angesicht der hohen Kapitalzuflüsse im Legal-Tech-Markt und der Tatsache, dass der Markt für Rechtsdienstleistungen die Vorherrschaft der Anwaltskanzleien über die Dienstleistungserbringung infrage stellt, sind die Kräfte des Wandels bereits in Bewegung. KI ist eine davon.

Die Rechtsabteilung wird im Unternehmen oft als teure Kostenstelle betrachtet. Wie können Rechtsabteilungen ihren Wert am wirkungsvollsten unter Beweis stellen? Wie können KI und andere Technologien dabei helfen?

Mit KI lassen sich große Mengen „unverwertbarer“ Daten sehr effizient in „verwertbare“ bzw. sinnvolle Daten umwandeln. Jeder, der sinnvolle Daten für das Gold des digitalen Zeitalters hält, wird den Wert der KI nicht infrage stellen.

Häufig müssen im Rechtswesen aus großen Datenmengen in kurzer Zeit verwertbare Ergebnisse gewonnen werden. e-Discovery ist dafür ein gutes Beispiel, aber durchaus nicht das einzige. Weitere juristische Anwendungsfälle für KI-gestützte Lösungen sind Dokumentautomatisierung, Vertragsprüfung und -verwaltung, Compliance-Management, Verwaltung von geistigem Eigentum, juristische Recherche und Anbietermanagement.

Wie würden Sie Ihre Zeit bei BASF zusammenfassen? Welche Erkenntnisse haben Sie hier gewonnen?

In einem globalen Unternehmen wie BASF werden viele Abteilungen und Geschäftsbereiche von Managern geleitet, die zwar über einschlägige Fachkenntnisse in ihrem Verantwortungsbereich verfügen, aber selbstverständlich nicht alles wissen können. Sie sind vielmehr Generalisten. Sie sehen (richtigerweise) ihre Aufgabe darin, zu leiten, die denkbar besten Teams zusammenzustellen und Dinge hocheffizient zu organisieren.

Ihr Management folgt transparenten Geschäftsstandards, die im gesamten Unternehmen zu einem maximalen Mehrwert beisteuern. Unternehmen, die in ihren Rechtsabteilungen einen ähnlichen Ansatz verfolgen, können einen erheblichen Nutzen daraus ziehen. Ich hoffe, dass mein Kollege Matt Lepore und ich – mit dem ich 2018 den Posten getauscht habe – für BASF den Beweis dafür erbracht haben. Wenn dem so ist, wäre ich stolz darauf.

Sie waren sowohl in Europa als auch in Nordamerika tätig. Wie überwinden Sie als Rechtschef die juristischen, regulatorischen und kulturellen Unterschiede zwischen den beiden Regionen? Wie behalten Sie trotz der Unterschiede den Überblick?

Juristen gelten als Experten in ihrem jeweiligen Rechtsgebiet. Ich arbeite zwar bereits seit jeher in und mit dem US-amerikanischen Rechtssystem, aber das ist nicht das System meines Herkunftslandes. So gesehen bin ich derzeit ein Experte mit gewissen relevanten Kenntnissen, aber nicht mit allen.

Zweifel, Unsicherheit und die Furcht, „dumme Fragen“ zu stellen, sind mir zu vertrauten Begleitern geworden. So habe ich sehr früh festgestellt, dass ich nur mit Ehrlichkeit und Authentizität eine Chance habe, um mit den Unterschieden zurechtzukommen. Daher habe ich es mir angewöhnt, das Team offen um Hilfe zu bitten, wenn ich Rat brauche. Bis zum heutigen Tag hat man mich nicht ein einziges Mal im Stich gelassen. Ich bin dafür nicht nur dankbar, sondern sehe mich auch verpflichtet, meinen Teil der Abmachung einzuhalten: Ich will die bestmögliche Führungskraft für meine Leute sein, ein vertrauensvolles Umfeld schaffen und für die richtigen Bedingungen sorgen, damit jeder für sich und als Team vorankommt. Zum eigenen Nutzen und zum Nutzen des Unternehmens.

Ich muss dann nicht meine eigene Expertise einbringen, sondern gewinne dank der Unterstützung anderer Zeit, um das Team bewusst zu stärken und mehr Führungsarbeit zu leisten, die sonst häufig zu kurz kommt. In meiner bisherigen Laufbahn macht das für mich bislang den größten Unterschied aus.

Was hat Sie schon früh interessiert und was hat Sie dazu bewogen, Jurist zu werden?

Ich wollte schon immer Jurist werden. Ich weiß nicht, warum ich mir da so sicher war. Aber das war definitiv seit dem Gymnasium so. Vielleicht spielt eine Rolle, dass ich während des Kalten Krieges in West-Berlin geboren und aufgewachsen bin. Das Umfeld dort war hochgradig politisiert. Ich hatte viele Fragen, auf die das Gesetz offenbar viele Antworten geben konnte. Mich fasziniert bis heute die zentrale Rolle, die ein gutes Rechtssystem für die Weiterentwicklung moderner Gesellschaften spielen kann.

Was tun Sie, wenn Sie nicht arbeiten? Wie entspannen Sie sich?

Ich spiele gerne Tennis, musiziere auf der Trompete, reise, wandere, koche, genieße das Zusammensein mit Familie und Freunden und interessiere mich für die US-Kultur.

Welche (lebende oder verstorbene) Person schätzen Sie am meisten?

Ich bewundere eher bestimmte Eigenschaften an einer Person. Dazu zählt beispielsweise die Fähigkeit, sich einer Herausforderung zu stellen, wie Martin Luther King, Jr. und Rosa Parks während der Bürgerrechtsbewegung. Auch bewundere ich die Weitsicht und das Durchhaltevermögen, wie es viele Unternehmen bei der Verfolgung auch kühner Ideen an den Tag legten, darunter Friedrich Engelhorn, der Gründer der BASF im Jahr 1865.

Was betrachten Sie als Ihre größte Lebensleistung?

Eine glückliche Ehe zu führen.

Mit welcher Persönlichkeit der Geschichte identifizieren Sie sich am meisten?

Mit Winston Churchill.

Was halten Sie für die am meisten unterschätzte Eigenschaft oder Fähigkeit?

Das, was Experten als unsichtbare Arbeit oder Office-Hausarbeit bezeichnen. Es gibt einen interessanten Artikel zu diesem Thema, auf den ich kürzlich gestoßen bin: “Research: Women Leaders Took on Even More Invisible Work During the Pandemic.”


Hannah Baxter ist Account Executive für strategische Partnerschaften bei Relativity.